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Ohne viele Worte

Es war am 01. August dieses Jahres, als mein Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wurde.

Erst war alles so wie immer. Nicht besonderes. So wie alle zwei Wochen.

Es war jedoch nicht ungewöhnlich gewesen an der Anzeige am Bahnsteig zu lesen, dass 3 Wagen gesperrt wären. Wohl wieder wegen der Klimaanlagen, hatte ich mir gedacht. Nichts besonderes also. Nur diesmal ohne Verspätung. So wie ich es auch sonst alle 2 Wochen getan hatte, stieg ich kurz nach acht Uhr am Abend in den Zug in Richtung Neustadt, um kurz nach neun dort bei meinem Freund einzutreffen. Und Gott sei Dank war in meinem Wagen dann doch die Klimaanlage in Betrieb. Es war die Jahre zuvor auch so gewesen. Einsteigen, fahren, ankommen und diese Vorfreude.

Die Echten sitzen eigentlich immer in Fahrtrichtung. Das Ziel vor den Augen. Diese Gewohnheitstiere! Aber ich saß an diesem Tag entgegen der Fahrtrichtung. Ich war vertieft in mein Buch, in dem der Autor sehr aufschlussreich darüber aufklärte, dass die Ereignisse des 11. Septembers in New York doch nicht so abgelaufen sein konnten, wie die Medien damals wieder und wieder berichtetet hatten. Und sogar für mich als Laien war damit bewusst, welch Lügenpakete damals geschnürt worden sein mussten. Nachdem der Schaffner meine Fahrkarte kontrolliert hatte, legte ich das Buch neben die Tasche auf den Sitz. Immerhin sind zu viele knallharte Fakten mit der Zeit anstrengend und so zog ich mein Tablet aus dem Rucksack. Ich klappte den Tisch vor mir herunter und spielte, um mir einfach noch die Zeit bis zu meinem Eintreffen in Neustadt zu vertreiben. Ja, Neustadt und bei ihm sein, endlich wieder all die verrückte Sachen machen, die er sich schon im Kopf ausgemalt hatte. Wild und verwegen.

Die Zeit kann scheinbar so schnell vergehen, wenn man sich mit Lesen, Rätseln oder Spielen beschäftigt. Wirklich schnell. Und als der Mannheimer Hauptbahnhof angekündigt wurde, ging dies schon irgendwie an mir vorbei. Ich nahm es nur unbewusst wahr, in mein Spiel vertieft, schließlich war ja Neustadt mein Ziel. Der Zug wurde langsamer. Ich blickte aus dem Fenster. Ich weiß heute nicht mehr warum ich das tat. Weil ich unbewusst plötzlich etwas wahrgenommen hatte?

Genau vor meinem Fenster sah ich diese große rote Lok. Nur diese Lok. Ich wusste sofort, dass diese Lok viel zu dicht neben uns fuhr. "Gott, ist die dicht neben uns!" Wahrhaftig zum Greifen nah! Ich registrierte es. Wollte weiterspielen. Blickte herunter. Oder? Heute weiß ich nicht mehr, was ich wirklich vor mir gesehen haben, als ich herunterblickte um in der Tat weiter zu spielen. Vielleicht blickte ich etwa nicht auf mein Tablet herunter, sondern schloss nur für einen Moment die Augen, nur einen Schlag der Augenlider. So ein winziger Moment.

Es war aber kein Moment, der mich aufschrecken ließ, mir schreckliche Angst machte und mich zur Flucht bewegte. Es kam in mir auch nicht irgendein Gedanke auf, dass etwas passieren könnte, weil die Lok doch viel zu dicht war. Nichts, rein gar nichts. Was keiner ahnen konnte oder wahrhaben wollte: diese große rote Lok fuhr nicht neben uns. Sie steuerte direkt auf unseren Zug zu und befand sich schon in Höhe des 2. Wagens. Direkt vor uns. Ich saß im 2. Wagen.

Die Lok kollidierte mit unserem Wagen. Und dann gab es dieses Geräusch, das ich zuvor noch nie gehört hatte. Alles was dann passierte ging so schnell. Wahnsinnig schnell. Mit dieser scheinbaren Leere in meinem Kopf spürte ich, wie der Wagen erst leicht nach rechts kippte. "Wenn der weiter so kippt, wie soll er sich dann wieder aufrichten? Autos können das", schoss es mir durch den Kopf. Der Wagen kippte weiter und ich versuchte mich mit drei Fingern am Vordersitz festzuhalten. (Als könnte man sich mit nur drei Fingern halten.) Ich rutschte im Sitz - das kann jetzt alles nicht wahr sein - nach rechts rüber.

Es war 20.50 Uhr "ich will nicht sterben."

So musste es sich anfühlen, wenn man tot ist. Das große Nichts, nicht fühlen, keine Schmerzen, keine Liebe, nichts mehr. Als ich wieder bei Sinnen war, weil ich nicht weiß, ob ich bewusstlos gewesen war, lag ich auf dem was von der gegenüberliegenden Fensterscheibe noch übrig geblieben war: einem einzigen Scherbenhaufen. Langsam richtete ich mich auf. Ich fühlte etwas an meinem Kopf, griff danach und fasste in eine blutende Wunde. Mein Rücken fühlte sich an, als wären unter der Bluse viele dieser Glassplitter verteilt. Ich weinte und konnte es wohl irgendwie nicht fassen, noch am Leben zu sein. Ich hatte den Eindruck, mein Leben würde sich nun auf diese wenigen Quadratzentimetern abspielen. Es bot sich mir ein so unwirkliches Bild in diesem Wagen, der nun komplett auf der Seite lag und ich dachte ich würde nie wieder herauskommen.

Die Frau, die im Zug auf der anderen Seite neben mir saß, rief nach anderen Passagieren, dass ich am Kopf bluten würde. Sie waren plötzlich alle neben mir, wollte mir aufhelfen. Da sah ich mein Tablet und riss es an mich. Man setzte mich dann zwischen die Sitze. Einer zog mir einen Splitter aus dem Kopf, legte mir ein Taschentuch auf den Kopf. Ich weinte wieder. "Oh mein Gott..." Jener hatte auch plötzlich meine Tasche in der Hand, in die ich dann das Tablet legen konnte. "Ich heiße Frank und Du?" "Birgit" Alle kümmerten sich so unglaublich um mich. Dann hatte die Frau auch meine Geldbörse in der Hand. Ich fragte nach meinem Rucksack, der dann auch auftauchte. "Wo ist mein Handy, es ist in einer weißen Hülle?", fragte ich. "Ich kann es nicht finden, hier ist alles eingeklemmt", sagte die Frau. Ich blickte hinter mich, um suchen zu helfen. Da lag ein anderes Handy. Irgendjemand nahm es mir ab. "Ich brauche mein Handy, ich kann ja sonst nicht anrufen.", weinte ich. Ich bat dann noch um meine Brille und das Buch, die lagen im kaputten Fenster unter dem man die Schienen des Nachbargleises sehen konnte. 'Das Buch gehört doch Tanti'. Immer wieder bat ich um mein Handy und Dank der Frau, fand es sich dann an. Wie eine Glucke scharrte ich mein Hab und gut um mich.

Wenn ich an meine Helfer im Zug denke, dann sehe ich heute keine Gesichter. Sie fehlen. Wenn ich in den Berichten sehe, wie viele Feuerwehrautos und Krankenwagen zu Hilfe geeilt sind, dann erinnere ich ich mich an rein gar nichts. Nur diese unheimliche Ruhe. Nach dem Unfall gab es für mich nur diesen kleinen Raum, diese 3 oder vier Menschen um mich herum, die versuchten, mich zu beruhigen, die leisen Gespräche, mein Weinen und das Knacken der Seitenverkleidung und Scherben unter den Schuhen, wenn sich jemand bewegte. So eine kleine Welt. Bewegung im Wagen. Plötzlich waren zwei Feuerwehrleute da. Sie trugen Handschuhe. Einer war gleich bei mir und untersuchte mich kurz. "Welcher Tag ist heute, wie heißen sie....", und legte mir eine Halsmanschette an. "Ich glaube ich habe Glassplitter am Rücken." Er schaute. Er schwitzte. "Wie sind gleich wieder da." Mir wurde schwindlig. Frank schob mir die Tasche des Feuerwehrmanns unter die Füße und bot mir Wasser an. "Nein, besser kein Wasser jetzt", hörte ich einen Feuerwehrmann sagen. "Ich passe auf deine Tasche auf", sagte Frank, als die Feuerwehrleute den Leuten vermittelten, jetzt nur die wichtigsten Sachen mit aus dem Wagen zu nehmen. Die Feuerwehrleute gingen weiter durch den Wagen durch. Als sie zurückkamen riefen sie, man solle mich gleich zuerst aus dem Wagen holen. Eine gelbe Trage wurde herein gereicht. Irgendwie war sie plötzlich da. Ich legte mich auf sie, hatte schreckliche Rückenschmerzen. Der Feuerwehrmann beugte sich über mich. Schweiß tropfte in mein Gesicht. Egal. Und dann wurde ich aus dem Wagen getragen. 'Wie soll das denn gehen', dachte ich. Immerhin lag der Wagen auf der Seite. Ich schloss die Augen und hatte Angst von der Trage zu fallen. Es waren eigenartige Momente, in denen man mich aus dem Wagen trug. Ich wackelte auf der Trage leicht hin und her und konnte mir nicht vorstellen, welchen Weg man dazu genommen hatte.

Doch dann. Ich fühlte ich um mich herum die kühle Luft dieses Sommerabends. Als die Trage abgesetzt wurde, öffnete ich meine Augen und sah ich über mir in der Dämmerung ein oder zwei Flugzeuge ihre Bahnen ziehen. 'Das ich das noch erleben darf.'

Tausend Fragen prasselten auf mich ein, ich bekam einen Zugang am Arm, und merkte kaum, dass man mich an einen Monitor anschloss. Zwei Männer beschäftigten sich mit meinem Rucksack und mit meiner Geldbörse, um und mit der Aufnahme, um meine Personalien aufzunehmen.

...alles zu viel, zu viele Fragen. "Welcher Tag ist heute, wie heißen sie, wo wohnen sie...." Schmerzen hier oder da, ja nein.....nein ja....

Mit Gurten wurde ich auf der Trage fixiert und dann mit Blaulicht ins Mannheimer Uni-Klinikum gefahren. Im Krankenwagen war es sehr laut und wieder musste ich Fragen beantworten. Ich konnte nicht mehr.

Und im Krankenhaus angekommen, glich dann aber nichts mehr dem, wie man eigentlich bei Greys Anatomy erwarten würde. Bis auf die vorbeiziehenden Lichter über mir an der Decke im Flur. Aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Bis dahin wusste mein Freund nicht, was mir passiert war. Es war schon fast zehn Uhr, als er noch immer ahnungslos auf mich wartete und eine Nachricht nach der anderen an mich geschickt hatte. Kurz nach zehn wusste er dann endlich, was in Mannheim passiert war. Währenddessen lag ich in der Notaufnahme und bat immer wieder darum, dass mein Freund angerufen wird. Keine Zeit hatte man für mich. Die meiste Zeit lag ich einfach so rum. Mit Kopfwunde und einer riesigen blutenden Schramme am Rücken. Es dauerte wohl zwei Stunden, bis dann endlich endlich die Röntgen- und CT-Bilder fertig waren und meine Kopfwunde genäht wurde. Als ich endlich aufstehen durfte, sah ich diesen großen Blutfleck auf dem Laken. Aber gekümmert hat es keinen.

Erst nach Mitternacht und meinem mehrmaligen bitten, rief ein Angestellter bei meinem Freund an. Er fuhr dann gleich nach dem Anruf in der Nacht noch los, um mich zu sehen. Lange durfte er nicht bleiben. Nach seinen Heimfahrt und zwei Stunden Schlaf telefonierte er mit meinem Sohn und und meiner Familie.

***

Im Krankenhaus wurde ich untersucht und bis auf die Wunde am Kopf, die genäht wurde, den fürchterlichen Rückenschmerzen, anhaltenden Kopfschmerzen und einem aus den Fugen geratenem Blutdruck hatte ich keine schwerwiegenden Verletzungen. Samstagabend entließ ich mich aus dem Krankenhaus, dem Mannheimer Uni-Klinikum. Mein Freund holte mich am darauffolgendem Abend aus dem Krankenhaus ab. Er hat sich seither sehr um mich gekümmert.

***

Laut der Medien gab bei diesem Unfall 35 Verletzte, von denen 14 in Krankenhäuser gebracht wurden, davon 4 Schwerverletzte. In Anbetracht dessen, dass ich wohl als Erste aus dem Wagen getragen wurde und mit dem Verdacht auf Verletzung an der Wirbelsäule (Rücken und Hals) und mit einem Schädelhirntrauma der Kategorie 15 mit Blaulicht ins Krankenhaus gekommen bin, könnte ich zu den Schwerverletzten gehört haben. Vielleicht. Ein Mitarbeiter der Bahn berichtete, dass innerhalb von 28 Minuten, die ersten Verletzten bereits gerettet waren.

***

Wie es mir geht? Jetzt, 10 Tage danach tut mir mein Rücken nicht mehr weh und ich kann schlafen. Es gibt keine schlechten Träume. Heute wurden die Fäden am Kopf gezogen. Endlich darf ich meine Haare wieder waschen. Die Schürfwunde am Rücken verheilt auch gut. Die blauen Flecken verblassen. (Davon habe ich später etliche an mir gefunden.) Ich kann mich nicht richtig konzentrieren, bin oft lustlos.

Aber: Noch heute sehe ich vor meinen Augen diese rote Lok in dem Fenster vor mir. Immer wieder versuche ich mich daran zu erinnern, was passiert ist, und warum ich mich scheinbar so sicher gefühlt habe, dass mir nichts passieren würde. Weil alles scheinbar so unwirklich ist, wenn es dann doch passiert? Weil man es einfach nicht wahrhaben will? So oft ertappe ich mich dabei, wie ich in Gedanken versinke. Lange, viele Minuten. Eine Stunde? Ich begreife es nicht: Ich bin einmal quer durch den Wagen geflogen. Ich habe nicht gemerkt, wie ich mir auf die Zunge gebissen haben, dass ich mir irgendwo und irgendwie eine Schürfwunde am Rücken auch einmal quer rüber zugezogen habe, dass ich mit dem rechten Ellenbogen und dem linken Handgelenk etwas schwer getroffen haben muss und wie ich mit meinem Rücken und meinem Kopf in der Fensterscheibe eingeschlagen bin. Die Prellung am Ellenbogen und an der Hand entdeckte ich erst am Sonntag.

Mir ist etwas passiert, das ich nicht mehr aus meinem Leben streichen kann. Daran zu denken, tut mir noch immer weh. Wenn ich jemandem erzähle was passiert ist, dann geht es manchmal. Aber manchmal tut auch das weh. Alles. Dann weine ich. Wenn ich alleine bin sowieso.

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